Kapitel 6


Die zweite Verwandlung (Das i wird erwachsen)

Nachdem es ein Mensch geworden war, suchte sich das i eine Familie. Da das i gern verschiedene Gestalten annahm, wünschte es sich eine Familie, von der es etwas lernen konnte. Doch sein neuer Vater versetzte selbst das i in Erstaunen.
Oft verwandelte sich sein Vater in einen Salamander. Manchmal verwandelte er sich in einen silbernen Baum, ganz erstarrt vom Frost, mit Kristallen bedeckt. Oder er wurde ein Schälchen, gefüllt mit Safran, in das der Wind stob.

Als das i achtzehn Jahre alt wurde, sagte der Vater, er wolle ihm nun zeigen, wie man sich verwandelt. Das i war noch jung, sein Fuß trat unsicher auf und es folgte dem Vater.
Sie gingen auf einem langen Weg über weite Felder. Der Vater sagte zum i:
„Heute gehen wir gemeinsam durch Feuer, Wasser und kupferne Rohre.“
Sie blieben stehen. Nachdenklich betrachtete der Vater das i.
„Zuerst“, schlug er vor, „gehe ich mit dir über weiche Matten. Dann zeige ich dir, wie man über Eis geht, wenn es kracht, und unterm Eis sich Fäden spinnen. Zuletzt erkläre ich dir, warum man nicht in einen Abgrund springen darf.“
Der Vater verwandelte sich in einen das Feuer durchwandernden Salamander. Der Weg, auf dem sie gingen war weich und eben, sie kamen schnell voran. Das i hielt sich dicht an den schlängelnden Vater. Der Vater sah auf und zischte:
„Warum kämmt dir die Mutter das Haar mit Schnee? Warum wird unser Herz ruhig, wenn wir über ebene Wege laufen?“
Das i verstand seinen Vater, und es antwortete nichts.
Der Vater verwandelte sich in einen silbernen Baum, ganz erstarrt vom Frost, mit Kristallen bedeckt. Nun konnten sie nicht mehr weiter gehen. Mit klirrender Stimme sprach der Vater:
„Warum bleiben wir stehen? Warum sehen wir das Blaue des Himmels nicht? Warum senkst du den Kopf? Weißt du nicht, dass wir kleiner werden, wenn wir den Kopf nicht heben?“
Das i wollte den Vater nicht verstehen, und es schwieg.
Der Vater verwandelte sich in ein goldenes Schälchen, das mit Safran gefüllt war. Das i hob das Schälchen auf, und gemeinsam gingen sie weiter. Sie kamen an einen tiefen Abgrund und blieben jäh stehen. Der Vater flüsterte:
„Warum hat der Gesang des Vogels Flügel? Warum schenken wir uns Freiheit, und brechen dennoch die Brücken nicht ab? Warum ist es die Angst, wenn etwas bleibt, und warum ist es die Verwandlung, wenn etwas entsteht?“
Ein Wind kam und blies in das goldene Schälchen. Der Safran zerstob, und ein süßer Duft senkte sich auf die Erde.
Das i wollte alles verstehen, und wartete ab.
Der Vater kam zurück, hob das i auf, und gemeinsam flogen sie über den Wolken wieder nach Hause.
Die Wolken sagten zum i:
„Es ist das Selbstverständlichste, über sich selbst hinauszutreten.“
Als sie zu Hause angekommen waren, sagte die Mutter zum i:
„Es ist die schwierigste Kunst, über sich selbst hinaus zu treten.“

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