Kapitel 13


Das wahnsinnige i beginnt mit ersten Aufzeichnungen, bildet sich alles Mögliche ein und wird gleich zum Mörder.

Meine Mutter ist einfach reich. Im Gegensatz zu mir: ich besitze nichts als Schulden.

Aber: Was kann ich dafür? Beginnen wir mit dem Nächstliegenden.
Bitteschön: Ist es vielleicht meine Schuld, dass Silke nun schon das zweite Kind erwartet? Klar, ich bin der Erzeuger, wie man so schön sagt. Aber: Wer trägt das Kind aus, wer gebärt es, wer stillt es, wer sorgt für das Kind? Ich vielleicht? Ich vielleicht?? Ich war nur kurz beteiligt!
Und – habe ich sie nicht gewarnt? Das Haus hat eben nun mal vierhunderttausend gekostet, und Silke sollte arbeiten, Geld verdienen! Nun – daraus wird vorläufig nichts. Silke denkt wohl: Gestern erst die Hochzeit war / heut folgt schon die Kinderschar. Oder so ähnlich. Ist auch egal. Komisch bloß, dass ich jetzt der strunzdummen Silke Dichterworte in den Mund lege, wo doch das Dichten mein Ding ist. Da merkt man wieder, dass die Frau mich durcheinander bringt. Die ist nix für mich. Warum bloß hab ich sie geheiratet? Ich brauch eine andere, was Hübsches, eine aus gutem Haus, eine, auf die Verlass ist. Aber Silke? Lass fahren dahin. Auf sie ist kein Verlass, also auch besser kein dran Denken.

Aus guhuhutem Haus. Ha! Da wären wir bei meiner Mutter. Der Prototyp eines Egoisten! Wie kann ein Mensch denn immerzu nur an sich selbst denken? Wo findet sich die Nachkommenschaft in diesen Gedanken? Habe ich nicht eben, vor zehn Sekunden, auch an meine Nachkommenschaft gedacht? An mir könnte sie sich ein Beispiel nehmen!
Geld angehäuft hat sie kaum, an ihr sind die Banker nicht reich geworden. Aber die drei Häuser! Drei große Häuser, mitten in der Stadt, bestens in Schuss. Bis unters ausgebaute Dach vollgestopft mit Mietwohnungen. Klar werden Hartmut und ich alles einmal erben. Aber wann!? Das ist die Frage, die zu stellen sie sich weigert. Nun – Frage hin oder her – erklärt wäre hiermit, dass sie Egoist ist. Basta.
Hergeben will sie nämlich nichts, und sterben will sie auch nicht. Meine Herrn – da braucht man das Geld so nötig wie die Luft zum Atmen, und die Alte wird immer rüstiger! Man wird schon noch sehen, wohin das führt, wenn fünfundsiebzigjährige sich auf Kreuzfahrtreisen begeben und braungebrannt wieder zurückkommen. Nicht bloß bestens gelaunt wieder zurückkommen, sondern auch noch um Jahre verjüngt! Plötzlich aussehen wie fünfundsechzig! Das führt zu nichts Gutem!
Ob Hartmut gestern auch einen Schock bekommen hat, als er sie nach ihren vier Wochen Abwesenheit wieder gesehen hat? Ich habe ihn nicht gefragt, Hartmut hat auch nicht meine Sorgen. Hartmut hatte eben auch nicht die Gelegenheit, so supergünstig an dieses Aktienpaket heran zu kommen, wie ich. So. Jetzt kommen wir der Sache näher. Weil wir die Schuldigen gefunden haben. Die Schuldigen: Silke, die nicht arbeiten will, meine Mutter, die nicht sterben will, und … und … diese verlockenden Angebote. Hätte ich nicht zugreifen sollen? Alle haben‘s doch gemacht, alle! Nur Hartmut nicht. Naja, und Mutter auch nicht, natürlich nicht. Mutter spielt ja nicht einmal mehr Canasta, der Arzt hat‘s ihr verboten, weil, wie er verlauten ließ, sonst ihr Motörchen nicht mehr richtig pumpe. Sie soll nicht mehr spielen, wie sie‘s früher so gern getan hat (da sieht man – ich hab‘s von ihr!). Sie soll sich nicht aufregen, dann würde sie noch hundert Jahre. Als ob das eine Verheißung wäre!

Deutscher Aktienindex – wenn ich das schon höre! Rauf runter, rauf runter. So schnell, dass einem schwindelig wird. Anfangs war‘s ja noch spaßig, der Taumel war angenehm. Das Zockergefühl, der Schwindel, der einen ergreift. Wie in Baden-Baden, wo die Kugel rollt, zwar waagerecht, doch immer im Kreis, im Kreis, im Kreis… In Baden-Baden rollt‘s immer noch im Kreis – aber der Dax! Taumelt wie ich. Stürzt von Klippe zu Klippe geworfen ins Ungewisse hinab, wie der Dichter sagt. Stürzt ins Wasser und ersäuft. Oder zerschmettert – sich und mich.
Irgendwas erholt sich, sagt man, der Aufschwung kommt. Haha! Meine Firmen gibt‘s ja nicht mehr! Hab eben auf das falsche Pferd gesetzt, sagt der Filialleiter von der Bank und zuckt mit den Achseln. Wollte eben zu viel auf einmal haben. Wär ich doch in Baden-Baden geblieben. Mehr als ein paar Tausend waren da nie hin. Aber jetzt die halbe Million … Aber ich kann nichts dafür, ich schwör‘s! Der Taumel war‘s, der hat mich mitgerissen. Und der Filialleiter der Bank, der hat mich nicht gewarnt, nicht richtig gewarnt. Lass fahren dahin, das Geld ist futsch. Silke hat schon Recht, ihr Verdienst kann uns auch nicht mehr herausreißen.

Da hilft nur eins – etwas anderes! Aber sie wird ja immer jünger! Ich bräuchte …ich bräuchte …ich bräuchte? Ein Haus würde schon reichen. Hartmut kann die beiden anderen haben. Seht, wie großzügig ich bin! Es muss nur bald sein! Ich geh auch nicht mehr zocken, ich versprech‘s. Aber erst mal muss es soweit kommen … Erst mal muss die Alte … Lass fahren dahin!
Kann ich etwas dafür, dass es gestern Abend so nett war? Dass der Rotwein floss, und ich noch eine Flasche Kognak mitgebracht habe, obwohl ihr der Arzt den Alkohol streng verboten hat, so wie das Spielen. Keine Aufregung und keinen Schnaps, dann würde sie hundert. Was? Darf ich meiner alten Mutter nicht einmal mehr eine Freude machen? Wo sie doch gerade von einer langen Reise zurückkam? Da soll ich nicht mit ihr feiern? Das kann mir keiner verbieten! Sie ist doch immerhin meine Mutter! Ich habe Kerzen angezündet, hab es uns gemütlich gemacht. Aber worüber, um Gottes Willen, sollen wir die ganze Zeit sprechen? Mutter ist ja auch schon eingenickt. Dabei war der Abend doch noch jung! Die Kerzen brannten, der Schnaps war da, nur noch ein Schritt zum Schrank, worin die Karten lagen. Mutter, was hältst du von einem kleinen Spielchen? Ich kann ja nun wirklich nichts dafür, dass ihr Herz manchmal nicht mehr so richtig mitmacht. Dafür kann nicht einmal Mutter etwas. Das ist eben ihr Körper, ihr … Motörchen. Das wollen wir doch mal richtig anheizen, nicht wahr, Mutter. Dass du in Fahrt kommst. Stoffwechsel und so. Wir pfeifen auf die ärztlichen Ratschläge. Wo bleibt denn sonst das Leben, nicht wahr, Mutter? Ratschläge tun dir doch gar nicht gut, und mir auch nicht, hab sie noch nie befolgt. Du hast doch früher so gerne gespielt – Canasta, Rommee, warst sogar im Bridge-Club. Ach, alles schon längst vorbei. Lass fahren dahin, Mutter, die alten Zeiten. Die kehren nicht wieder. Oder doch?
Schau, nun sind deine welken Wangen schon gerötet. Du willst also auch? Nichts leichter als das. Einmal ist keinmal. Ich versprech dir‘s, ich lass dich auch gewinnen, ich weiß doch, dass dir‘s vor allem darauf ankommt, aufs Gewinnen. Noch ein Gläschen Schnaps, Mutter? Hab doch die Flasche extra für dich gekauft, weil ich deinen Geburtstag vergessen habe. Soll nicht wieder vorkommen, Mutter! Mischen, mischen, mischen. Die alten Karten mischen, jetzt wird neu gemischt, Mutter, jetzt wird neu gemischt. Aufgemischt, Mutter, wird jetzt. Dreizehn für dich. Mutter, dreizehn für mich. Keine Angst, das bringt kein Unglück. Hast gute Karten, Mutter? Schau an, wie deine Augen strahlen! Wie in den alten Zeiten, als du schon ab und zu auch gern mal gepokert hast, nicht wahr, Mutter? Was war Trumpf? Früher wurde das Kreuz, das schwarze, mit zunehmendem Alkoholkonsum von dir immer weniger verlangt. Im Gegensatz zu mir – je besoffener ich war, desto häufiger schwirrte mir das Kreuz vor Augen. Aber jetzt pokern wir ja nicht, hab ich Recht? Wir spielen ja bloß Canasta. Da gibt‘s kein Kreuz, da gibt‘s nur strahlende Augen, Joker, und das Motörchen, das rattert, das auf Hochtouren läuft. Tschuldigung, dass ich mehr Asse hab als du, tschuldigung, dass ich gewonnen hab. Eins, zwei, drei Canasta hab ich. Juhuh! Soll nicht mehr vorkommen. Reg dich nicht auf, Mutter! Denk an deine Gesundheit. Noch ein Schnäpschen zur Beruhigung? Noch ein Spiel? Ach Gottchen – schon wieder gewonnen. Woher kommt das nur, Mutter, dass du nie gewinnst, hast du keine Joker? Es geht doch so einfach. Hast du alles vergessen? Du brauchst einen Reinen, ich spiel auf Hand. Peng! Peng! Peng! Das war das letzte Mal. Schau, ich hab einen Reinen. Lauter Damen, Mutter. Sieh, drei rote und vier schwarze. Denkst du, es sind dreimal Herz und viermal Pique? Aber du irrst dich. Mutter, du siehst die Kreuze nicht, denk an den Kognak! Es sind vier Kreuze, Mutter, vier schwarze Kreuze. Kreuz Dame, Mutter, das war doch immer deine Lieblingskarte. Freust du dich denn nicht? Ganz blass bist du geworden, Mütterchen, und deine Augen funkeln nicht mehr. Liegst zusammengesackt im Stuhl, so jung wie du bist.

Was kann ich dafür, dass Hartmut noch so spät kam, um nach dir zu sehen? In das verrauchte Zimmer herein geplatzt ist, wo die Schnapsflasche umgekippt lag, und die Karten im Kognak schwammen. Was kann ich dafür, dass er so gebrüllt hat! Sogar die Nachbarn kamen. Das Toben hat dich auch nicht mehr aufgeweckt. Ist‘s meine Schuld, dass die Ärzte in dem Krankenhaus dein lahmes Motörchen nicht mehr auf Vordermann gebracht haben? Ihr Versagen!

Und die Vorladung zur Polizei? Mich sperren sie nicht ein! Hab ich was verbrochen? Ich habe jetzt andere Pläne. Rauf runter, rauf runter. Lass fahren dahin. So ist das Leben.

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